Wir erleben mit dem Großen die Freuden des deutschen Gymnasiums. Aus der egalitären „Zwangsgemeinschaft“ der Grundschule entlassen und auf die Zielgerade der Leistungsgesellschaft gestellte Kinder im vorpubertären Alter sollen gleichzeitig ihren Freundeskreis erneuern, sich selbst organisieren, Lernbereitschaft zeigen und laufende Prüfungen ablegen, in einem Kontext, in dem sie mit Achtzehnjährigen konkurrieren. Wir befinden uns in Westdeutschland, nach Klasse vier ist Schluss mit dem Vergemeinschaftungsprojekt, da wird bereits selektiert. Und wer nicht funktioniert, geht unter.

Es läuft eher bescheiden. Das Kind hat neulich noch vor Schulbeginn in die Büsche gekotzt, weil es so gestresst war. Sein Sitznachbar hat es am Vortag als „Arschloch“ bezeichnet, weil es sich ein Blatt Papier leihen wollte und musste, und ihm angedroht, nächstes Mal auf dem Hof eine Tracht Prügel auszuteilen, wenn ein solch maßloser Antrag nochmal vorkomme. Irgendwie war der College-Block nicht in den überfüllten Ranzen geraten, da hatten das Kind und die Eltern versagt.

Was das mit Literatur zu tun hat? Na ja, wenn dann nur mit „echter“ Literatur, Literaturhausliteratur, Deutungshoheitsliteratur, Preisgewinnerliteratur, die sich im vierstelligen Bereich hoffentlich mit Anstand verkauft an die Leute, die noch Bücher kaufen und noch lesen, also: ältere gebildete Frauen. Nix gegen ältere gebildete Frauen, ich steuere gerade darauf zu, eine zu werden, aber es geht hier, na, um Eliten. Wir Deutschen sagen nicht „Kasten“, wir sagen, wenn überhaupt, Eliten, und meinen damit auch ihre geheimen Rituale des Distinktionsgewinns, des latinisierten Habitus, und den subtilen Verteilungskämpfen, die es rund um Posten und Gehälter eben gibt.

Jetzt versuchen Sie mal, in diesen Tagen einen Klempner zu finden. Ist eine niedere Tätigkeit, gefühlt und gedacht von der Akademikerwarte aus, liegt nicht bei den Spitzengehältern, für den angehenden Gymnasiasten und seine Eltern nicht am Horizont. Aber ich würde mir wünschen, dass wir mit dieser Klassifikation und hierarchischen Ausdifferenzierung der Gesellschaft aufhörten. Das bringt alle Beteiligten unnötig unter Druck und ist auch im Ergebnis fragwürdig. Es geht darum, Gemeinschaft sinnvoll und warmherzig leben zu können, und das bringen viele gut situierte Eltern ihren Kindern nicht mehr bei, weil es keinen Raum dafür gibt.

Es gibt Erzählungen, die werden nie in Buchform veröffentlicht, und die stehen auf keiner „Spiegel“-Bestsellerliste. Eine der Wichtigsten ist: „Ich gehöre dazu.“