YOUNG ADULT FICTION

Jans Mär

„Jans Mär“ ist ein Buch für jeden jungen Menschen, der nicht weiß, was er werden soll, aber trotzdem mit dem Leben klarkommen muss. Es ist eine Studie, ein Gedicht, ein Slam-Text, eine Graphic Novel, ein Stück Expressionismus, nein: Existentialismus, und die Novelle, mit der ich mich in die Welt der Literatur hinausgewagt habe. Janina Rink ist mein alter ego, auch wenn ich mich nie getraut habe, so konsequent zu versagen wie sie.

„Der Regen war ihr willkommen, er kühlte ihre Gedanken. In letzter Zeit hatte sie seltsame Träume.

Sie endeten stets damit, dass sie durch den Hafen lief, über das Wasser, durch die Schluchten von Containerschiffen und Trockendocks, auf einen Anleger zu, auf dem ein Mann stand.“

Leseprobe

Janina saß im Schneidersitz auf dem feuchten Gras, stützte sich mit den Händen ab, legte den Kopf in den Nacken und ließ sich den einsetzenden Nieselregen auf die Stirn fallen. Außer ihr war kaum jemand unterwegs im Dämmerlicht des Stadtparks. Das Wetter, die Kälte, es gab genug Gründe, warum sich die wenigsten nach draußen wagten. Ihr war nicht kalt. Ihr war selten kalt. Leichtes Übergewicht hatte seine Vorteile.

Der Regen war ihr willkommen, er kühlte ihre Gedanken. In letzter Zeit hatte sie seltsame Träume. Sie endeten stets damit, dass sie durch den Hafen lief, über das Wasser, durch die Schluchten von Containerschiffen und Trockendocks, auf einen Anleger zu, auf dem ein Mann stand. Ein unheimlicher Mann mit einem Gesicht, an das sie sich nicht erinnern konnte, nur an das Grauen, das sie jedes Mal ergriff und bis in den Tag hinein verfolgte. Das kommt vom Rumhängen, dachte sie. Tut niemandem gut.

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Aber ich, dachte sie, ich klappe einen kleinen Schirm auf in meinem Herzen, so einen bunten mit Holzstiel, wie beim Eismann, und auch, wenn ich jede Nacht schlecht schlafe, werde ich mir die Laune nicht verderben lassen, und zwar von niemandem, auch nicht von einem Hals-Nasen-Ohren-Arzt und seinen phoniatrischen Gutachten.

Es war jetzt mehr als ein halbes Jahr her, dass ihre Stimme versagt hatte. Sie war ein unzuverlässiger Begleiter geworden, tauchte auf und verschwand dann wieder. Zuverlässig waren nur die Halsschmerzen, die sich regelmäßig und ohne jeden Grund einstellten, als ob sie alte Bekannte seien. Und dazu die Frage, was jetzt aus ihr werden sollte. Knoten auf den Stimmbändern. Das bedeutete, chronische Heiserkeit. Und das wiederum bedeutete, Berufsunfähigkeit vor der Berufsausbildung.
Mit einem leisen Geräusch schlugen die Regentropfen auf die Erde und Janinas Gesicht, mit einem Geräusch wie von Blüten, die aufbrechen, oder Spuckeblasen, die platzen.
Pommes zog Kreise um Janina, bis ihn ein Flattern im Gebüsch lockte. Er verschwand mit einem kurzen Schwanzwedeln im Dickicht.
He, wo willst du hin?
Der Satz blieb Janina in der Kehle stecken. Sie räusperte sich, setzte von neuem an und brachte keinen Laut hervor. Da war etwas in der Luft, im Niesel gefangen. Ein Leiern, das kam und verschwand. Als ob der liebe Gott in den Wolken eine alte, gesprungene Platte aufgelegt hätte. Janinas Schultern wurden schwer. In ihr klappte sich das bunt bemalte Schirmchen zusammen und eine selbstgebastelte Sonne aus Goldpapier fiel zwischen das Laub am Boden. Dann wurde es still im Park.

PAULA COULIN