„Würden Sie für Ihre Kinder sterben?“ fragt mich meine Therapeutin. „Nein,“ antworte ich erbost. Es geht darum, woher die dunklen Löcher kommen, die mich in meinem Familienalltag manchmal erwischen. Ich habe mich im Verdacht, meine Kinder nicht genug zu lieben. Denn sonst würde es ja Spaß machen, die lieben Kleinen zu bespaßen. Liebeshormonkompensiert auf rosa Wolke durch die Lego-Hölle.

Jetzt also, Bundeswehr-Fragen beim Therapeuten. Wer über diese Frage und ihre nötigen Voraussetzungen nur fünf Sekunden lang ernsthaft und bei vollem Bewusstsein nachdenkt, landet im Wahnsinn. Denn niemand kann sagen, was er unter Todesangst tun würde. Vielen Dank für diesen Beitrag zu meiner geistigen Gesundheit. Die Frage ist eine doppelte Zumutung. Ich bin nämlich schon für meine Kinder gestorben. Die letzten 45 Minuten, bevor meine Jungs das Licht der Welt erblickt haben, waren definitiv weniger barmherzig als ein sauberer Kopfschuss.Wenn man sich vor Augen führt, dass das Aufreißen des Dammes von der Vagina bis zum oder hinein in den Anus zu den ganz gewöhnlichen Geburtsverletzungen einer Gebärenden gehört, hat man eine Ahnung vom Ausmaß des Schmerzes.

Was hat das jetzt mit Schriftstellern zu tun? Vermutlich hat sich die Romantik diese Frage  für Mütter und Erzähler gleich im Doppelpack ausgedacht: „Würden Sie für Ihren Roman sterben?“ Ich glaube, viele Autoren beantworten diese Frage insgeheim positiv. Selbstmord ist ein Klassiker unter den Sujets des Romans, aber auch unter den Romanschaffenden. Alkoholismus oder popeliger Selbsthass ist nur eine Unterform davon. Eine schlechtere Voraussetzung für das Erzählen von Geschichten oder auch für das Erziehen von Kindern kann man sich gar nicht vorstellen. Legt man die Todesfrage als Maßlatte an die eigene Liebe für jemanden oder etwas an, tut das weder einem Text, geschweige denn einem Menschen, erwachsen oder minderjährig, gut. Ganz einfach, weil schon die Frage ins Nichts führt. Geschichten entstehen, Kinder wachsen, das einzige, was man tun muss, ist, aufmerksam und liebevoll zu bleiben.

Ich sterbe nicht für meine Kinder und meine Romane, ich lebe mit ihnen und ich liebe sie, so gut ich kann. Und manchmal, meine Damen und Herren, manchmal können sie mir auch einfach gestohlen bleiben.